Sag mal – was macht eigentlich …

 

Ingrid Pöhland vom Glücksgriff e.V. …

Sag mal, Ingrid Pöhland von ‚Glücksgriff‘

Die Frau, die für viele Menschen zu einem wahren Glücksgriff geworden ist

‚Glücksgriff‘ heißt das Second-Hand-Geschäft im 1. OG – und tatsächlich ist es ein wahrer Glücksgriff. Für all die Menschen, die hier an drei Tagen in der Woche Kleidung und sogar Bücher für kleinste Preise einkaufen können…und für all jene Menschen, denen die Verkaufserlöse zugute kommen. Die Frau, die diese Idee des sozialen Kreislaufs vor 15 Jahren entwickelt hat, und die von vielen in Schenefeld mit ‚Frau Glücksgriff‘ angesprochen wird, heißt Ingrid Pöhland. Sie ist die Vorsitzende des gemeinnützigen Trägervereins ‚Glücksgriff‘, der hinter dem Kaufhaus für den guten Zweck steht.

Sag mal, Ingrid Pöhland, haben Sie einmal nachgerechnet, mit wieviel Geld Sie und ihr ehrenamtliches Team in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten soziale Projekte – also Menschen, Junge und Ältere – unterstützt haben?

Ingrid Pöhland überschlägt kurz die Zahlen, dann sagt sie mit einem Strahlen: „Eine gute halbe Million Euro kommt da zusammen.“

Ingrid Pöhland – das ist schon eine interessante Frau. 76 Jahre alt ist sie, also in einem Alter, in dem sie seit mehr als zehn Jahren die Rente und ein Leben ohne Arbeit genießen könnte. Aber diese vitale Frau ist anders gestrickt. „Jeden Morgen, wenn ich mit einer Tasse Kaffee den Tag beginne, frage ich mich: Was kann ich besser machen? Wo können wir helfen? Was ist gestern nicht so gut gelaufen?“ Kurze Pause, dann: „Meine Gedanken sind immer in Bewegung. Natürlich bin ich stolz, was ich mit meinem Team auf die Beine gestellt habe, und ich hätte auch nie mit diesem Riesenerfolg gerechnet, aber es gibt noch viel zu tun. Viele Menschen brauchen unsere Hilfe. Und deshalb gucke ich immer nach vorn, ich suche immer nach Lösungen.“

Ein Leben lang ist/war Ingrid Pöhland berufstätig. Angefangen hat sie bei der Post als einfache Angestellte – aber sie hat sich hoch gearbeitet. Nach dem Schalterdienst der Aufstieg in die Oberpostdirektion, danach der Sprung in die Gewerkschaft, anfangs ehrenamtlich, schließlich wurde sie Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft in Hamburg. Als Vizevorsitzende bei Verdi hat sie 220 Menschen geführt. Eine kämpferische, eine mächtige Frau, die sich immer eingesetzt hat für andere Menschen, für deren Rechte. Doch irgendwann hat sie sich zurückgezogen aus dem täglichen Gewerkschaftsbusiness. „Da war ich 63,“ sagt sie, „aber viel zu jung, um nichts zu tun.“

Sag mal, Ingrid Pöhland, wie begann denn die Geschichte mit ‚Glücksgriff‘? Wann war der Moment, als Sie entschieden, Gutes zu tun?

Ingrid Pöhland atmet tief durch, sie lächelt, erinnert sich an den Augenblick, den sie noch genau in Erinnerung hat: „Ich fuhr morgens mit dem Fahrrad durch Schenefeld und sah am Straßenrand ein paar Kinderzimmermöbel. Wunderschön, dachte ich, viel zu schade zum Wegwerfen. Aber ich war überzeugt, dass irgendjemand die Sachen mitnehmen würde. Doch am anderen Morgen standen die Möbel immer noch da. Nachts hatte es geregnet, nun war alles aufgeweicht. Eine Schande, dache ich. Da kam mir die Idee, einen Second-Hand-Laden für den guten Zweck zu eröffnen.“

Nun, wie wir alle wissen: Gute Ideen haben viele Menschen, aber die wenigsten realisieren sie dann auch. Deshalb die Frage.

Sag mal, Ingrid Pöhland, wie ging es denn weiter?

Die Antwort ist überzeugend. „Ich bin ja gut vernetzt hier in Schenefeld und in Hamburg. So erzählte ich einer Journalistin von meiner Idee. Sie brachte einen großen Artikel darüber, und die Resonanz war unglaublich: Am anderen Tag war meine Garage voll … das Auto mußte ich draußen parken…“ Und sehr schnell konnte sie auch in der Lornsenstraße Räume anbieten,  in denen sich nun Kleidung, Geschirr, Töpfe, Spielzeug, Bettwäsche, Handtücher und vieles andere stapelten.

Mittlerweile hat ‚Glücksgriff‘ auch das STADDI erobert, wo Ingrid Pöhland und ihre ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen auf 300 Quadratmeter Fläche an drei Tagen ihre Waren verkaufen. „Dieser Laden ist ein Geschenk für uns,“ sagt die Chefin und Vorsitzende des Vereins Glücksgriff, „hier bleiben die Leute stehen, gucken ins Schaufenster, kommen rein. Und viele werden zu Käufern, denn sehr schnell erkennen sie, dass es beste Ware zu unglaublichen günstigen Preisen zu kaufen gibt.“

Sag mal, Ingrid Pöhland, was bedeutet sozialer Kreislauf genau? Wen unterstützen Sie mit ihren Geldern?

„Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Seit mehr als zehn Jahren werden wöchentlich mehr als 200 Kilogramm Äpfel an Schenefelder Schulen und einige Kindergärten geliefert. Damit ermöglichen wir eine tägliche kostenlose Vitaminspritze. Ein Biobauer liefert die Äpfel an. Seit zehn Jahren wird an der Gemeinschaftsschule der Kochkurs ‚Gutes Essen‘ angeboten, im freiwilligen Nachmittagsunterricht können junge Menschen gesundes Kochen und Backen erlernen. An beiden Grundschulen wird seit 2010 für alle Kinder das Lernen mit der Klasse ‚2000‘ umgesetzt – also zusätzlicher Unterricht, in dem es um Gewaltprävention, Suchtprävention, Körperhaltung und beispielsweise Ernährung geht. Wir bieten die Kurse ‚Kinder und Handarbeit‘ an. Wir unterstützen sogar die Stadt…“

Wie bitte, das müssen Sie bitte etwas genauer erklären. Sie unterstützen die Stadt???

Ingrid Pöhland erklärt den Satz: „Wir unterstützen die Stadt im Sozialbereich. Also, viele Menschen können sich beim Weihnachtsmarkt keinen Glühwein und keine Bratwurst leisten. Wir von Glücksgriff kennen die Menschen nicht, aber wir wissen, dass es sie gibt. Und die Sozialreferentin bei der Stadt kennt diese Menschen natürlich. Also haben wir der Stadt 1.000 Euro gespendet, und dieses Geld kommt den armen Menschen dann als Gutschein zugute, den sie gegen Wurst und Glühwein einlösen können.“ Pause. Dann: „Vor einiger Zeit hat eine Familie ihr Haus verloren, ein Feuer hat alles vernichtet. Da haben wir natürlich gesagt: Kommt zu uns und holt Euch, was Ihr braucht…“

Sag mal Ingrid Pöhland, wir haben gehört, dass Ihre Spendengelder auch schon mal nach Nepal geflossen sind. Ist das wahr?

Ingrid Pöhland nickt und schildert eine Geschichte, die einem wahrlich das Herz öffnet. „Das war 2015, als ein gigantisches Erdbeben Nepal erschütterte. Tausende Menschen starben in den Trümmern, Tausende waren ohne Zuhause…im wahrsten Sinne des Wortes. Ein befreundeter Nepalese, der hier in Schenefeld wohnt, fragte mich, ob Glücksgriff nicht helfen könne…! Diese Idee haben wir sehr gern aufgegriffen und zu Spenden aufgerufen. Tatsächlich hatten wir innerhalb von 14 Tagen Riesencontainer mit Klamotten zusammen, und obendrein spendeten die Menschen Geld – 40.000 Euro. Was ich nie vergessen werde: Eine Frau brachte mir ihr Geld, immerhin 1.000 Euro, wovon sie eigentlich in Urlaub fahren wollte. Die Kleider haben wir per Spedition Richtung Nepal geschickt (wo sie letztendlich nicht angekommen sind, sondern bei einer indischen Hilfsorganisation gelandet sind), das Geld haben wir lieber persönlich nach Nepal gebracht. Ich hatte so viel von Korruption und fehlgeleiteten Geldern gehört, dass der Nepalese und ich direkt nach Katmandu geflogen sind. 40.000 Euro im Koffer…das muss man sich mal vorstellen. In der deutschen Botschaft in Katmandu haben wir das Geld dann in die Landeswährung getauscht.“

Und wie lief das weiter?

„Unsere Idee war, eine zusammengestürzte Schule wieder aufbauen zu lassen. Ich bin dann mit dem Jeep in die Berge gefahren, durch den Matsch, durch die Trümmer…als ich am Ziel war, war mir klar: Hier oben wird nichts mehr aufgebaut, denn kein LKW wird es schaffen, hier Baumaterial für eine Schule hochzubringen. Da haben wir uns etwas Neues überlegt.“

Bitte was?

„Wir haben Kontakt mit einem einheimischen Baumanager aufgenommen. Wir haben höchstpersönlich Platten gekauft, und dem Manager den Rest des Geldes gegeben, um an einem geeigneten Platz eine Schule aufzubauen. So konnten wir tatsächlich zwei komplette Klassenräume finanzieren und bauen lassen. Die Schule haben wir noch weitere drei Jahre mit Geld unterstützt.“

Sag mal, Ingrid Pöhland, für die armen Menschen in Nepal waren Sie ein wahrer Glücksgriff. Erzählen Sie uns, wie sind Sie auf diesen wunderbaren, zutreffenden Namen gekommen? Das war sicher Ihre Idee?!

„Nein, nein,“ schüttelt Ingrid Pöhland den Kopf, „das war nicht meine Idee. Die ist aus dem Zufall entstanden. Natürlich hatten mein Team und ich uns schon lange Gedanken über einen Namen gemacht, aber wir hatten einfach keine zündende Idee. Und dann kam der Moment, als ich von einem freundlichen Spender angerufen wurde, ob ich ein paar Sachen abholen könnte. Das habe ich natürlich getan. Und was soll ich sagen! Er gab mir mehre nagelneue Smokings…ich traute meinen Augen nicht. Dann ging er zurück und holte weitere wertvolle, nagelneue Kleidung aus seinem Haus. Meine Antwort, meine Dankeschön war: Sie sind ja ein wahrer Glücksgriff’ Und in diesem Moment schoss es mir durch den Kopf: Glücksgriff…das ist der richtige Name für uns. Und unser ganzes Team war begeistert von der Idee, dass wir in Zukunft unter ‚Glücksgriff‘ firmieren.“

Sag mal, Ingrid Pöhland, Sie investieren ja jede freie Minute in Ihr soziales Business – woher nehmen Sie die Zeit?

Sie lacht, die 76 jährige, antwortet: „Ich hab’s gut. Erstens habe ich Geld genug, muss also nichts mehr verdienen. Dann bin ich geschieden, also ledig – so habe ich niemanden zu Hause, der mich bremst. Keinen Bremser…und meine Tochter ist zwar verheiratet, hat aber kein Kind. So habe ich also auch keine Oma-Dienste zu übernehmen. Mit anderen Worten: Ich kann meinen Tag genauso einteilen, wie er mir wichtig ist.“

Sag mal, Ingrid Pöhland, die Bürgermeisterin Christiane Küchenhof ist Ihre Schirmherrin…

„Ja, Frau Küchenhof ist ja die dienstältestes Bürgermeisterin in Schleswig-Holstein, und ich freue mich sehr, dass sie auf unserer Seite ist. Wir beide kennen und schätzen uns schon seit vielen Jahren. Und sie ist ist immer wieder eine große Hilfe, wenn es irgendwo hakt.“

Sag mal, Ingrid Pöhland, wer kauft eigentlich bei Ihnen?

„Arme, Wohlhabende und Reiche. Alt und Jung. Erfreulicherweise auch immer mehr junge Leute, denen Nachhaltigkeit wichtig ist. Bei ihnen hat sich erfreulicherweise ein Wandel vollzogen, den ich bemerke. Vor Jahren mußte es für den Abiball unbedingt ein neuestes Kleid sein –  heute tanzen die jungen Gymnasiasten gern im Second-Hand-Look. Das Second-Hand-Kleid ist also cooler als der neueste und teuerste Abi-Look.“

Sag mal, Ingrid Pöhland, kommt es auch vor, dass ein richtig Reicher mal schnell 1.000 oder 5.000 Euro auf den Ladentisch legt?

Sie amüsiert sich über die Frage. „Das ist noch nicht vorgekommen…aber wer weiß, vielleicht fühlt sich jetzt jemand angesprochen. Wir sind offen für großzügige Millionäre! Was wir erlebt haben – eine wohlhabende Familie hat ihre Geburtstagsgäste zum Feiern und zum Spenden gebeten. Den Erlös bekam dann Glücksgriff…insofern hoffen wir, dass in der Familie noch viele Geburtstage gefeiert werden.“

Sag mal, Ingrid Pöhland, bei den Preisen, zu denen man bei Ihnen kaufen kann, kann man ja gar nicht nein sagen. Kaufen Sie eigentlich selbst bei Glücksgriff?

Ein klares „Natürlich!“ kommt über die Lippen. „Seit es Glücksgriff gibt, war ich nie in einem anderen Laden. Ich habe immer nur hier bei uns gekauft, natürlich zum gleichen Preis wie all unsere Kunden. Ich habe ihnen gegenüber nur einen großen Vorteil: Ich kann mir hier sofort die besten Sachen aussuchen. Ich sitze also an der Quelle .“

Ein Vorteil, den jeder Mensch dieser aktiven, nächstenliebenden Frau aus ganzem Herzen gönnt.